Ich (Tobias Stippich) habe nach meinem Abitur ein Jahr in London in der Christ Church Spitalfields in Ostlondon verbracht. Die Teamarbeit dort hat mich sehr fasziniert. Mit Pfarrer Darren Wolf spreche ich darüber, was wir von ihnen lernen können.
Darren, stell uns deine Gemeinde erst einmal vor.
Wir gehören zur anglikanischen Kirche und haben ungefähr 300 aktive Gemeindemitglieder, die zwei verschiedene Gottesdienste besuchen, einen morgens um 11 Uhr und einen speziell für Menschen unter 25 abends um 17 Uhr. Wir haben einen weiteren Pfarrer und insgesamt 18 Hauptamtliche in der Gemeinde. Die meisten davon kümmern sich um das Gebäude.
Die meisten kümmern sich um das Kirchengebäude?
Ja, so läuft das bei uns. Wir betreiben nämlich auch ein Event-Business, das unseren Kirchenraum für private Feste, Firmenfeiern oder auch Konferenzen vermietet. Das finanziert die kompletten Ausgaben für das 300 Jahre alte Kirchengebäude.
Welchen Hintergrund haben die verschiedenen Mitarbeitenden?
Alle im Leitungsteam haben eine theologische Ausbildung. Nicht alle haben darin einen Abschluss oder ein extra Studium absolviert, aber zumindest einen Kurs an der Hochschule besucht. Die Leute, die für uns arbeiten, kommen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen. Sie haben oft davor etwas ganz anderes gemacht und dann gemerkt, dass sie gerne für eine Kirchengemeinde arbeiten wollen.
Welche Rolle kommt Ehrenamtlichen zu?
Bei uns arbeiten pro Monat ungefähr 140 Menschen ehrenamtlich in unterschiedlichen Bereichen mit: Gemeindearbeit, Finanzen, Personal, gemeinnützige Aktionen wie unsere Arbeit mit Obdachlosen und Glaubenskursen. Ganz ähnlich wie der Kirchengemeinderat bei euch haben wir einen „church council“, der gewählt wird. Viele Leitungsaufgaben liegen allerdings rein praktisch dann doch bei mir als Pfarrer. Wir versuchen allerdings so gut es geht, Menschen, die nicht ordiniert sind, in jeden Bereich der Gemeinde einzubinden. Deshalb haben wir insgesamt 58 ehrenamtlich Leitende in der Gemeinde, die etwa unsere Hauskreise oder andere Bereiche unserer Gemeinde verantworten. Für deren Ausbildung bieten wir regelmäßig Workshops an.
In einer Stadt wie London gibt es so viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Wie motiviert ihr Menschen?
Ich habe zwei Tipps für euch. Erstens: Wenn du möchtest, dass Menschen sich in deiner Gemeinde einbringen, dann musst du zuerst in deine eigene spirituelle Entwicklung investieren. Es geht um simple Sachen wie Beten und Bibellesen. Aber auch darum, vorzuleben, was es bedeutet, Christin oder Christ zu sein. Wenn du es nicht vorlebst, warum sollten andere Menschen so leben wollen? Das zweite ist, dass Gemeinden sich nur weiterentwickeln, wenn Leitende Verantwortung delegieren können. Da geht es nicht nur um Aufgaben wie die Lesung im Gottesdienst oder den Kaffeedienst. Es geht darum, Verantwortung abzugeben für wichtige Aufgaben und Bereiche. Dabei sollen Menschen ihre eigenen Erfahrungen und Fehler machen dürfen.
Was ist dein größtes Learning, wie man Menschen motivieren kann, mitzumachen?
Ich habe zwei Learnings. Erstens: Es ist sehr schwer, Menschen zur Mitarbeit zu motivieren. In London bemerken wir besonders, wie individualistisch Menschen unterwegs sind und wie stark auch Religion als Konsum verstanden wird. Leute kommen in unsere Gottesdienste und erwarten, dass sie etwas konsumieren können. Da reicht es nicht zu sagen: „Hey, hast du Lust hier mitzuhelfen?“ Sondern man muss auch erklären, warum unsere Gemeinde eine Mitmachgemeinde ist und sich als große Familie versteht, die mehr als nur abspielbares Programm bietet. Und zweitens: Menschen sind auf einem Weg mit unterschiedlichen Startpunkten. Wir stehen deshalb nie vorne und sagen: „Wir brauchen unbedingt Mitarbeiter, damit es auch weiterhin Kaffee vor unseren Gottesdiensten gibt.“ Druck und Zwang mag niemand gerne. Deshalb sind wir immer mit einzelnen im Gespräch und suchen einen passenden Platz für sie, mit dem sie sich wohlfühlen: „Du liebst doch Kaffee. Wäre es nicht eine coole Idee, Menschen Kaffee zu servieren? Magst du das mal ausprobieren?“.
Vielen Dank dir, Darren, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast.
Autor: Tobias Stippich
Mitglied im Redaktionsteam