Renate und Hermann Brender sind im Ruhestand aufgebrochen und haben in Erfurt beim Jesus-Projekt ehrenamtlich mitgearbeitet und -gelebt. Das Jesus-Projekt ist eine diakonisch-missionarische Initiative, die 2004 von zwei Ehepaaren und bald dazu zwei Singles ins Leben gerufen wurde. Sie haben in der Platte Wohnungen gemietet und dort mit denen gelebt, die sich arbeits- und perspektivlos am Anlagenbrunnen mit dem Bier in der Hand getroffen haben. Heute arbeitet das Jesus-Projekt mit Kindern und Familien, mit Leuten mit Sozialstunden und im Café als Treffpunkt für Alleinstehende.
Im Gebiet „Roter Berg“ sind ca. 60 % der Familien auf Staatsleistungen angewiesen. Oft sind Eltern mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder überfordert. „Bärenstark“ als Familienbildungsangebot bietet für sie deshalb ein vielseitiges Programm an, wie etwa „kochen und richtig ernähren“ oder „die Natur erleben“. Die Kinder lernen, was sie für ein selbstständiges Leben brauchen und entdecken den christlichen Glauben.
Im Begegnungszentrum „ANDERS“ bekommen Menschen, die Sozialstunden ableisten müssen oder von Einsamkeit geplagt sind, neue Perspektiven: eine Tagesstruktur, regelmäßige gesunde Mahlzeiten und die Möglichkeit, sich in einer Werkstatt praktisch einzusetzen. Außerdem engagiert sich das Jesus Projekt im Bereich Streetwork und bietet mit Picknicks, Begegnungscafés und Initiativen gegen Einsamkeit ein vielfältiges Angebot für Zielgruppen, die oft vergessen werden.
Die Mitarbeitenden bilden bis heute eine Lebensgemeinschaft, die das Jesus Projekt trägt. Das Jesus Projekt ist Teil der Diakonie Mitteldeutschland. Organisiert ist es als Verein. Mehr auf www.jesus-projekt-erfurt.de
Was ich (Hermann Brender) in der Platte für die Zukunft der Kirche gelernt habe
Ich und meine Frau wollten zu Beginn unseres Ruhestandes nochmal etwas Neues kennenlernen und sind auf das Jesus-Projekt, eine sozial-missionarische Initiative in der Erfurter Platte, gestoßen. Dort haben wir die letzten sechs Jahre als Teilzeitthüringer mitgewirkt. Drei Dinge habe ich gelernt:
Beteiligung statt Konsum
Im Jesus-Projekt werden viele einbezogen. Hauptamtliche, Ehrenamtliche und selbst Teilnehmende mit Suchthintergrund arbeiten selbstverständlich gemeinsam. Ich denke, Menschen halten sich zur Gemeinde, wenn sie beteiligt werden und nicht nur eingeladen sind zu dem, was andere ihnen vorsetzen. Das zeigt sich z. B. auch an den Vesperkirchen bei uns im Ländle, in denen enorm viele Ehrenamtliche engagiert mitarbeiten. Die Zeit, in der einfach nur Predigten und Gottesdienste konsumiert werden, ist aus meiner Sicht vorbei. Die Zukunft gehört dem gemeinsamen Gestalten.
Wertschätzung als Schlüssel
Manchmal habe ich in unserer Kirche das Gefühl, dass ehrenamtliches Engagement als Einmischung, sogar als Bedrohung angesehen wird. Denn wo viele sich einbringen, da sprengt das oft die Statik einer ordentlich verwalteten Gebietskörperschaft. Wenn überhaupt, dann sollen nur Menschen mitarbeiten, die aufgrund ihrer Ausbildung, ihres Berufs oder ihrer Begabungen viel Kompetenz mitbringen. Im Jesus-Projekt habe ich das anders erlebt: Hier wurde auch Menschen etwas zugetraut, die sonst das Gefühl haben, ungebraucht und ungeeignet zu sein. Für viele war es eine echte Ehre, wenn sie für die Mitarbeit angefragt wurden. Manche haben zum ersten Mal erlebt, dass sie etwas Wichtiges beitragen können und ihnen dafür öffentlich gedankt wird. Diese ehrliche Wertschätzung prägt die ganze Arbeit des Jesus-Projekts. Ich bin immer mehr davon überzeugt: So geht Reich Gottes!
Mit- statt Gegeneinander
Beim Jesus-Projekt sind Menschen aus ganz unterschiedlichen christlichen Gemeinden mit dabei und haben sich in verschiedenen Konstellationen ergänzt. Das hat mich begeistert! Bei diakonischen Diensten ist die Zusammenarbeit über Kirchengrenzen hinweg oft problemlos möglich, ohne dass man Gottes Wort beiseitelassen muss. Gemeinden sollten deshalb viel enger mit Diakonie und Caritas zusammenarbeiten. Das öffnet unserer Erfahrung nach auch Räume für Menschen, denen der intellektuelle Zugang unserer Gottesdienste nicht liegt.